Da ich selbst eine spinale Muskelatrophie (SMA) habe, möchte ich auf dieser Seite für jeden, den es interessiert, zum besseren Verständnis die Krankheit genauer erklären. Die Informationen stammen von der DGM:

Das motorische System
Das motorische System des Menschen besteht im wesentlichen aus zwei hintereinander geschalteten Nervenzellen (Neurone), die die sog. quergestreifte Muskulatur mit Impulsen versorgen und damit unsere willkürlichen Bewegungen steuern. Die 1. motorische Nervenzelle liegt in der Hirnrinde, wo der Bewegungsablauf gleichsam entworfen wird, die 2. Nervenzelle befindet sich überwiegend in den vorderen Abschnitten des Rückenmarks (sog. Vorderhornzelle) und versorgt mit langen Bahnen die Skelettmuskeln der Extremitäten und des Rumpfes. Ein Teil der motorischen Neurone entspringt im Hirnstamm (Bulbus), d.h. dem Übergang zwischen Gehirn und Rückenmark, und ist u. a. für die Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur verantwortlich. Aufgrund der verschiedenen Ebenen im motorischen System gibt es nun zahlreiche Erkrankungen, die zu Muskelschwund und Lähmungen führen können: Gehirnerkrankungen (Untergang des 1. motorischen Neurons und der angeschlossenen Bahnen), Prozesse im Rückenmark (Untergang des 2. motorischen Neurons), Störungen der ableitenden Nervenbahnen (sog. periphere Neuropathien) und schließlich Erkrankungen der Muskulatur selbst (sog. Myopathien).


Krankheitsbild der spinalen Muskelatrophien
Unter dem Begriff,,Spinale Muskelatrophien" (SMA) wird eine Gruppe von Krankheiten zusammengefaßt, denen ein fortschreitender Untergang von motorischen Nervenzellen v.a. im Rückenmark gemeinsam ist (daher der Begriff ,,spinal"). Damit können die Impulse vom Gehirn nicht mehr an die angeschlossenen Muskeln weitergeleitet werden, woraus Muskelschwund (Muskelatrophie), Lähmungen (Paresen) und verminderte Muskelspannung (Muskelhypotonie) resultieren. Wenn die Neurone des Hirnstammes mitbetroffen sind, kommt es außerdem zu Einschränkungen der Sprech-, Kau- und Schluckfunktionen. Da andere Organsysteme im allgemeinen nicht beteiligt sind, gibt es keine weiteren Veränderungen wie z.B. Empfindungsstörungen, Probleme mit Sehen oder Hören. Auch die Funktion der inneren Organe sowie von Blase und Darm bleibt erhalten, die geistige Leistungsfähigkeit wird ebenfalls nicht beeinträchtigt.


Verschiedene Formen der spinalen Muskelatrophien
Die einzelnen Formen der spinalen Muskelatrophien werden nach Verteilungsmuster, Erkrankungsbeginn, Schweregrad und Vererbungsmuster unterschieden und in der Regel nach den hauptsächlich betroffenen Muskelgruppen bezeichnet. Es gibt zahlreiche, meist sehr seltene Formen, die teilweise mit zusätzlichen Funktionsstörungen einhergehen und hier nicht im einzelnen vorgestellt werden können.

Die große Mehrzahl (ca. 90%) der spinalen Muskelatrophen bildet die Gruppe der sog. proximalen SMA, die durch einen Beginn der Muskelschwäche in rumpfnahen (proximalen) Muskelgruppen (v. a. Oberschenkel-, Hüftmuskeln, später auch Arm- und Schultergürtelbeteiligung) charakterisiert ist. Die proximale SMA wird in verschiedene Untertypen eingeteilt, die in erster Linie nach dem Erkrankungsbeginn, den erlernten motorischen Fähigkeiten und der Lebenserwartung definiert sind. Die verschiedenen Lehrmeinungen zu den Klassifikationen haben sich z.T. widersprochen und zu langen Diskussionen geführt, so daß vor einigen Jahren eine internationale Arbeitsgemeinschaft (Internationales SMA Consortium) gegründet worden ist, um einerseits die wichtigsten Merkmale einer proximalen SMA zu definieren (s. Diagnosestellung) und andererseits die verschiedenen Typen einheitlich festzulegen (s. Tabelle).

SMA Typ

Wichtige Symptome

 

Definition

Genetik

I

SMA Typ

Werding-Hoffmann

Akute infantile SMA

--

 

 

-

Sitzen nie möglich

Erkrankungsbeginn normalerweise innerhalbder ersten 6 Monate

Tod in > 90% innerhalb von 10 Jahren

Autosomal rezessiv

II

Chronische

infantile SMA

Intermediäre SMA

-

-

-

freies Sitzen wird erlernt,

Gehen ohne Hilfe nie möglich

Erkrankungsbeginn meist im ersten Lebensjahr

Überlebensrate > 90% nach 10 Jahren

Autosomal rezessiv

III

SMA Typ Kugelberg-Welander

Juvenile SMA

--

--

Gehen ohne Hilfe möglich

IIIa: Beginn < 3 Jahre

IIIb: Beginn 3 Jahre

Milder Verlauf

Lebenserwartung nicht deutlich reduziert

Meist autosomal

rezessive Vererbung.

Neumutationen möglich.

Überwiegen des männlichen Geschlechts

IV

Adulte SMA

---

Erkrankungsbeginn > 30 Jahre

Unterschiedliches Fortschreiten

Normale Lebenserwartung

Autosomal dominant in 70%

Autosomal rezessiv in ca. 30%



Die nicht-proximalen spinalen Muskelatrophien sind sehr selten und führen meist nicht zu einer Einschränkung lebenswichtiger Funktionen. Man unterscheidet Formen, bei denen die Muskelschwäche im Bereich der Hand- und Fußmuskulatur beginnt (distale SMA) und solche mit Betonung der Schulter- und Unterschenkelmuskeln (skapuloperoneale SMA). Die meisten Formen sind erblich und folgen entweder einem autosomal rezessiven oder autosomal dominanten Erbgang. Daneben gibt es spezielle Untertypen, bei denen vermutlich eine angeborene Veränderung im Rückenmark für die Symptome verantwortlich ist und die nicht-erblich sind.

Diagnosestellung
Zuständig für die Diagnosestellung sind bei den Formen des Kindesalters die Kinderärzte mit Schwerpunkt im Fachbereich der Nervenkrankheiten (Neuropädiater) und im Erwachsenenalter die Nervenärzte (Neurologen). Man sollte bei der Wahl der betreuenden Einrichtung darauf achten, daß sich die Ärzte mit Muskel- und Nervenkrankheiten auskennen. In Deutschland gibt es inzwischen zahlreiche Zentren, die sich auf Muskelerkrankungen spezialisiert haben und sog. Muskelsprechstunden anbieten.


Zu Beginn einer weiterführenden Diagnostik, die im allgemeinen im Rahmen eines mehrtägigen stationären Aufenthaltes durchgeführt wird, steht eine ausführliche körperliche Untersuchung, bei der u.a. die Muskelkraft in den verschiedenen Muskelgruppen, die Muskelspannung und das Vorhandensein der Muskeleigenreflexe geprüft werden. In jedem Falle sollten Funktionsstörungen anderer Organsysteme ausgeschlossen werden, denn es gibt Krankheiten, die der spinalen Muskelatrophie sehr ähneln, aber eine ganz andere Ursache haben.

Nach einer Blutabnahme werden schließlich neben den üblichen Laborwerten auch spezielle Muskelenzyme getestet, hier v.a. die sog. Kreatinkinase (CK)-Aktivität. Im Unterschied zu vielen Muskelkrankheiten im eigentlichen Sinne (z. B. Muskeldystrophien) finden sich bei den spinalen Muskelatrophien meist normale CK-Werte, sie können jedoch geringfügig erhöht sein (max. bis zum 10fachen der Norm).

Um zu prüfen, ob die Muskelschwäche eher von einer primären Störung des Muskelgewebes oder der zuleitenden Nerven herrührt, werden in vielen Kliniken eine sog. Elektromyographie (EMG) und eine Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit durchgeführt. Dabei wird eine feine Nadelektrode z. B. in bestimmte Muskeln eingestochen, um die elektrischen Impulse und die Reaktion der Muskelfasern zu messen. Oftmals ist es aufgrund dieser Untersuchungen bereits möglich, eine SMA von anderen neuromuskulären Erkrankungen zu unterscheiden. In den meisten Fällen wird zur Diagnosesicherung außerdem eine feingewebliche Untersuchung der Muskulatur herangezogen. Hierzu wird ein Stückchen Muskelgewebe entnommen (Muskelbiopsie) und im Mikroskop nach Einsatz verschiedener Färbetechniken begutachtet. Bei vielen Erkrankungen zeigen sich chrakteristische Veränderungen in der Muskelbiopsie, die es im allgemeinen erlauben, eine SMA von primären Muskelkrankheiten abzugrenzen. Oft kann eine endgültige Diagnose erst unter Berücksichtigung aller Untersuchungsbefunde gestellt werden, und in manchen Fällen gelingt dies leider selbst dann noch nicht. Gegebenenfalls lassen sich zu einem späteren Zeitpunkt einige Untersuchungen wiederholen, die dann mehr Klarheit bringen.

Molekulargenetische Untersuchungsmethoden ermöglichen bereits heute durch den Nachweis einer spezifischen Veränderung (Stückverlust oder Deletion im Bereich des SMN-Gens) die Diagnosestellung einer spinalen Muskelatrophie. Bei fehlendem Nachweis der typischen Veränderung ist jedoch ein Krankheitsausschluß nicht möglich.

Vererbung spinaler Muskelatrophien/ genetische Beratung
Autosomal rezessive proximale SMA
Obgleich sich in vielen Familien vor Bekanntwerden der Diagnose einer SMA bei einem Angehörigen keine Hinweise auf Muskelerkrankungen ergeben werden, sind die meisten Formen auf einen ererbten Untergang der Nervenzellen zurückzuführen. Dies trifft insbesondere für die häufige proximale SMA des Kindesalters zu, die in mehr als 90% der Fälle einem sogenannten autosomal rezessiven Erbgang folgt. Die Erbanlagen (Gene) des Menschen sind auf den Chromosomen in den Zellkernen der Körperzellen hintereinander angeordnet. Der Mensch besitzt 46 Chromosomen, wovon 22 Chromosomenpaare (sog. Autosomen) doppelt vorliegen. Die eine Hälfte der Chromosomen stammt vom Vater, die andere von der Mutter. Lediglich die Geschlechtschromosomen (Gonosomen) unterscheiden sich bei Mann und Frau: Während die Frau zwei X-Chromosomen trägt, erhält der Mann von seinem Vater ein Y- und von der Mutter ein X-Chromosom. Bei einem autosomal rezessiven Erbgang tragen erkrankte Personen zwei veränderte Anlagen, die sie sowohl von ihrem Vater als auch von ihrer Mutter geerbt haben. Beide Eltern sind gesund, da sie neben einer veränderten Anlage über eine normale Anlage verfügen, die den Fehler der ,,ungünstigen" überdeckt. Die Krankheit kommt also nur dann zum Vorschein, wenn ein Kind von beiden Eltern das ,,ungünstige" Gen erhalten hat. Bei weiteren Nachkommen können nun die normale und die veränderte Anlage in beliebiger Kombination auftreten, ohne daß man dies beeinflussen könnte. Das bedeutet, daß, statistisch gesehen, nach der Geburt eines Kindes mit einer autosomal rezessiven Erkrankung ein Wiederholungsrisiko von 25% besteht. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit für weitere Kinder liegt bei 1:4, unabhängig davon, wie viele Kinder bereits betroffen sind oder wie viele gesunde Kinder in einer Familie zuvor geboren wurden. Der Krankheitsverlauf bei Geschwistern ähnelt sich meist - dies gilt insbesondere für die Frühformen der proximalen SMA - so daß nicht damit zu rechnen ist, daß ein gesundes Geschwisterkind noch erkranken wird, wenn ein gewisser Zeitabstand zum Erkrankungsbeginn des an SMA erkrankten Kindes besteht. Das Erkrankungsrisiko für entferntere Verwandte ist bei der autosomal rezessiven Vererbung gering, es liegt z.B. für Kinder von gesunden Geschwistern von Anlageträgern oder von Betroffenen normalerweise unter 1 %.

Stand der molekulargenetischen Forschung
Die verantwortliche Erbanlage für die autosomal rezessive proximale SMA des Kindes- und Jugendalters (SMA I-III) konnte vor einigen Jahren dem langen Arm von Chromosom 5 zugeordnet werden. Inzwischen ist es einer französischen Arbeitsgruppe gelungen, ein Gen aus der entscheidenden Region auf Chromosom 5 zu identifizieren, es handelt sich um das sog. SMN- (survival motor neuron) Gen. Von diesem Gen liegen auf jedem Chromosom zwei Kopien vor, die sich nur geringfügig voneinander unterscheiden. Es wurde festgestellt, daß bei den meisten SMA-Patienten (>95%) eine dieser Kopien (die sog. telomerische Kopie des SMN-Gens) auf beiden Chromosomen fehlt, also ein Stückverlust (Deletion) vorliegt. Obwohl sich diese Deletion im allgemeinen weder bei nicht betroffenen Anlageträgern, noch bei gesunden Kontrollpersonen nachweisen läßt, gibt es dennoch seltene Ausnahmen von dieser Regel. Dies ist einer der Gründe anzunehmen, daß das SMN-Gen zwar an der Entstehung einer SMA beteiligt, hierfür aber nicht ausschließlich verantwortlich ist. Der genaue Stellenwert dieses Gens ist demnach bisher nicht bekannt.


Darüber hinaus hat eine kanadische Arbeitsgruppe ein Gen in der SMA-Region entdeckt, das möglicherweise für den Nervenzellenuntergang bei der SMA verantwortlich ist (sog. ,,neuronal apoptosis inhibitory protein" = NAIP-Gen). Die genaue Bedeutung auch dieses Gens ist bislang unklar, da es jeweils nur bei einem Teil der SMA-Patienten verändert ist. Es gibt Hinweise dafür, daß das NAIP-Gen eher bei schweren Verlaufsformen mit einem Stückverlust einhergeht als bei den milden Formen.

Die molekulargenetischen Ergebnisse sind erst im Januar 1995 veröffentlicht worden und lassen weiterhin einige Fragen offen. Zweifellos haben sie bereits jetzt einen wichtigen Stellenwert in der diagnostischen Abklärung und eröffnen nun weiterführende Studien zu den der SMA zugrunde liegenden Basismechanismen.

Praktische Anwendung der Genotypdiagnostik
Seitdem bei der großen Mehrzahl der Patienten in der für die SMA verantwortlichen Region auf Chromosom 5 Stückverluste (Deletionen) nachgewiesen werden können, ist es möglich, in einem hohen Prozentsatz der Fälle bereits bei dem klinischen Verdacht die Diagnose einer SMA durch eine molekulargenetische Untersuchung zu bestätigen (sog. direkte Genotypdiagnostik). Umgekehrt schließt das Fehlen einer Deletion die Diagnose einer SMA nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht mit Sicherheit aus.

Bei der sog. indirekten Genotypdiagnostik wird der Bereich, der das Gen für die SMA enthält, in einer Familie mit Hilfe genetischer Marker gleichsam zurückverfolgt. Anhand der bei betroffenen Personen nachgewiesenen Markereigenschaften können bei den Eltern diejenigen Abschnitte der Chromosomen 5 zugeordnet werden, die die für die SMA verantwortliche Mutation enthalten.

Die indirekte Genotypdiagnostik wird heute praktisch ausschließlich zur Vorbereitung auf eine vorgeburtliche Diagnostik veranlaßt. Voraussetzung für deren Anwendung ist immer eine vorangehende humangenetische Beratung der Eltern, bei der u. a. eine genaue Information über die Möglichkeiten und Grenzen der geplanten Untersuchungen erfolgt. Eine vorgeburtliche (pränatale) Diagnostik ist niemals eine Routineuntersuchung, und in jedem Falle muß der Ablauf der Untersuchungsschritte sorgfältig mit den betreuenden Einrichtungen abgestimmt werden. Wenn Eltern eines erkrankten Kindes in einer weiteren Schwangerschaft eine vorgeburtliche Diagnostik in Anspruch nehmen möchten, wird nach einer vorbereitenden Genotypdiagnostik in der Familie kindliches Gewebe mittels einer sog. Chorionzottenbiopsie in der 10-12. Schwangerschaftswoche gewonnen und in die DNA-Analyse mit einbezogen. Das ungeborene Kind wird dann als nicht betroffen eingestuft, wenn es von Mutter oder Vater wenigstens ein anderes Chromosom 5 erhalten hat als das erkrankte Kind.

Wichtig: Die Analyse setzt voraus, daß einerseits eine molekulargenetisch gesicherte Diagnose einer SMA vorliegt und andererseits Blut- oder Gewebeproben eines betroffenen Kindes sowie in der Regel seiner Eltern vorhanden sind. Die Anwendung der molekulargenetischen Analyse ist bislang auf die rezessiv erbliche, proximale SMA des Kindes- und Jugendalters beschränkt, sie gilt nicht für andere SMA-Formen oder andere Erbgänge.

Andere Erbgänge
Nicht alle SMA-Formen folgen einem autosomal rezessiven Erbgang. Während die geschlechtsgebundene (X-chromosomale) Vererbung, bei der nur Jungen erkranken und die Erkrankung von gesunden Frauen übertragen wird, im Gegensatz zu den progressiven Muskeldystrophien bislang nicht bekannt ist, gibt es einige Familien, in denen die SMA autosomal dominant vererbt wird. Vor allem bei Formen, die erst im Erwachsenenalter beginnen, liegt häufig ein dominanter Erbgang vor, bei dem eine ,,ungünstige" Anlage auf einem der Chromosomen ausreicht, um die Erkrankung auszulösen. Die Krankheit wird in diesen Fällen von Generation zu Generation weitervererbt, jeder Betroffene gibt dann die veränderte Anlage statistisch an die Hälfte seiner Nachkommen weiter. Diejenigen Verwandten,die die verantwortliche Anlage nicht geerbt haben, können sie auch nicht auf ihre Kinder übertragen.

Obwohl autosomal dominante Vererbung bei SMA-Formen des Kindesalters äußerst selten ist, kann derzeit noch nicht ausgeschlossen werden, daß v. a. ein Teil der milderen Verlaufsformen (SMA Typ III) auf dem Boden einer neuentstandenen Veränderung einer Erbanlage (Neumutation) beruht. Hierdurch wird die Beurteilung der Erkrankungsrisiken für Geschwister aber auch für eigene Kinder von Patienten erschwert: Bisher nahm man an, daß das Erkrankungsrisiko für Geschwister von Patienten mit einer SMA Typ III gegenüber einem rezessiven Erbgang vermindert ist (ca. 20%), jedoch die Wahrscheinlichkeit für Kinder von Betroffenen, ebenfalls an einer SMA zu erkranken, deutlich höher als bei ca. 1 % einzustufen ist (ca. 10%?). Bis zur genauen Kenntnis der molekulargenetischen Basis sind in Einzelfällen keine genauen Angaben möglich. Da eine klinische Unterscheidung zwischen den autosomal rezessiven und dominanten Formen praktisch nicht möglich ist, kommt der genetischen Beratung mit Erhebung eines Familienstammbaumes sowie molekular-genetischen Untersuchungsbefunden demnach eine erhebliche Bedeutung zu. Für die dominante SMA steht uns noch keine DNA-Diagnostik zur Verfügung; der Genort auf Chromosom 5 ist zumindest nicht für die Form/en mit Beginn im Erwachsenenalter verantwortlich, so daß mit Hilfe der indirekten Genotypdiagnostik in diesen Familien falsche Schlußfolgerungen gezogen werden.

Die Diskussion macht deutlich, daß zur Abschätzung von Erkrankungsrisiken in jedem Falle ein humangenetisch ausgebildeter Arzt befragt werden sollte.

Therapeutische Möglichkeiten
Da der den spinalen Muskelatrophien zugrunde liegende Defekt nicht bekannt ist, steht eine ursächliche Therapie leider nicht zur Verfügung. Es gibt bis heute keine Behandlungsform, die ein Fortschreiten der Muskelschwäche verhindern oder die Krankheit zum Stillstand bringen könnte.

Getreu nach dem Motto ,,gegen SMA kann man nichts machen, aber viel tun", sollte man in jedem Falle die Möglichkeiten der symptomatischen Therapiemaßnahmen kennen und nutzen. Im Vordergrund steht die krankengymnastische Behandlung, mit der die noch vorhandene Muskelkraft und die Gelenkbeweglichkeit unterstützt werden. Bei schwer eingeschränkten Patienten, die aktive Bewegungen nicht mehr in größerem Umfang durchführen können, sind passives Durchbewegen und Dehnungsübungen zur Vorbeugung von Gelenkversteifungen empfehlenswert. Als Richtwert werden krankengymnastische Übungen zwei- bis dreimal pro Woche empfohlen, um Überanstrengung zu vermeiden. Sollte eine Behandlungsform gerade bei kleinen Kindern Schmerzen oder Unbehagen erzeugen, ist nicht sinnvoll, sie um jeden Preis fortzusetzen. In jedem Falle ist es wichtig, das krankengymnastische Konzept mit dem betreuenden Arzt abzusprechen und auf die individuelle Situation einzustellen.

Die Atemfunktion sollte insbesondere bei Anzeichen von Luftnot oder Sauerstoffmangel durch geeignete Atmungstherapie gefördert werden. Zum Einsatz kommen spielerisches Atemtraining (z. B. Flöte spielen) oder gezielte Übungen mit einem Atmungsgerät. Wenn Hinweise auf eine Sauerstoffunterversorgung bestehen, sollte bei chronischen Verlaufsformen in Absprache mit einem erfahrenen Arzt die Durchführung einer Heimbeatmung in Erwägung gezogen werden. Die Schwäche der Atemmuskulatur begünstigt das Auftreten von Atemwegsinfektionen, die zu schwerwiegenden Komplikationen führen können. Eine frühzeitige Behandlung z. B. mit Antibiotika hilft vielfach, schwerwiegende Infektionen zu beherrschen. Zur Vorbeugung ist es sinnvoll, gegen Kinderkrankheiten und häufige Erreger von Lungenentzündungen impfen zu lassen. Es gibt keine Hinweise dafür, daß eine Impfung den Krankheitsverlauf nachhaltig ungünstig beeinflußt, wogegen die Komplikationen bei durchgemachten Kinderkrankheiten nach Möglichkeit zu vermeiden sind.

Ein großes Problem bei der proximalen SMA stellt die zunehmende Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) dar, da sie die Atmungsfunktion zusätzlich einschränkt. Hier ist eine rechtzeitige Behandlung von großer Bedeutung, wobei über die Möglichkeit eine operativen Versteifung der Wirbelsäule zur langfristigen Stabilisierung des Rumpfes mit einem Spezialisten gesprochen werden sollte.

Durch die regelmäßige Verwendung von Hilfsmitteln kann die noch vorhandene Muskelkraft wirksam gefördert und die Beweglichkeit bzw. der Aktionsradius entscheidend verbessert werden. Hier müssen betroffene Familien zusammen mit betreuenden Ärzten und Krankengymnasten überlegen, ob und welche Hilfsmittel eingesetzt werden sollen (z. B. Sitzschale oder Korsett als Sitzhilfen; orthopädisches Schuhwerk, Stehbrett, Schienen, Swivelwalker als Geh- und Stehhilfen; Rollstuhl zur Fortbewegung; Lifter, Toiletten- und Badehilfen für die Versorgung zuhause).

Auch wenn eine effektive Therapie zur Heilung der SMA derzeit noch nicht angeboten werden kann, so hängt viel von der Lebenseinstellung des Betroffenen und seinem Umfeld ab, inwieweit er sich durch die Muskelschwäche eingeschränkt fühlt. Trotz vieler Schwierigkeiten, die Körperbehinderten in unserer Gesellschaft begegnen, liegt es vielfach an der Einstellung und der positiven ,,Lebensenergie" des Patienten, wie er seinen Weg geht und seine Fähigkeiten nutzt. Da die geistige Entwicklung nicht beeinträchtigt ist - bei Kindern mit SMA werden sogar eher überdurchschnittliche Leistungen beobachtet - ist eine gute schulische Bildung und intellektuelle Förderung von großer Bedeutung.